„Wenn wir den moralischen Test unserer Zeit bestehen wollen, müssen wir mehr über unser Empathie-Defizit sprechen. Die Fähigkeit, sich in die Lage anderer zu versetzen und die Welt durch ihre Augen zu sehen …“
– Barack Obama
„Die wirkliche Aufgabe einer Führungskraft“, sagt der Autor Simon Sinek, „besteht nicht darin, zuständig zu sein, sondern darin, die Menschen, für die wir zuständig sind, fürsorglich zu behandeln.“ Dies zeigt sich nirgendwo stärker als in der Bedeutung, die empathische Mitarbeiterführung während der Covid-19-Pandemie gewonnen hat. Unabhängig davon, wo in der Welt und in welcher Branche sie arbeiteten, erfolgreiche Führungskräfte hatten eine Qualität gemeinsam: Einfühlungsvermögen und Fürsorge für ihre Mitarbeitenden. Sie standen mit uns, nicht über uns. Sie zeigten uns, dass auch sie nur Menschen sind. Sie waren und sind empathisch.
Empathie ist jedoch nicht nur in Krisen notwendig. In der Welt nach Corona kämpfen Unternehmen mit einer Kündigungswelle, die sich rapide ausweitet. Dagegen gibt es jedoch eine Geheimwaffe: Studien zufolge ist der wichtigste Grund, warum Mitarbeitende bei einem Arbeitgeber bleiben, die Empathie der Führungskräfte. In einer neuen Paychex-Befragung von 1000 amerikanischen Beschäftigten gaben über 50 % an, dass ihre Teamleitung Stress oder Burnout ignoriere, und nur 44 % sagten, dass offene Gespräche über Frust am Arbeitsplatz ermutigt würden. Laut Forbes ist dies ein wichtiger Grund dafür, dass 52 % der US-Arbeitnehmer erwägten, in diesem Jahr die Stelle zu wechseln.
Welche Erkenntnisse über empathische Mitarbeiterführung können wir also in die neue Arbeitswelt mitnehmen? Warum ist Empathie so wirkungsvoll? Und wie können wir sie als Führungskräfte einsetzen, um auf unsere Teams einzugehen, sie zu inspirieren und zu binden – zu einer Zeit, in der dies wichtiger ist denn je?
Zunächst wollen wir uns damit befassen, was Empathie eigentlich ist. Einfach gesagt: Empathie ist die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen – die emotionale Sensibilität, die Welt durch die Augen anderer zu sehen und ihre Gefühle wirklich nachzuempfinden. Empathie wird oft mit Mitleid verwechselt, wie Dr. Brené Brown in ihrem berühmten Ted-Vortrag zum Thema „Die Kraft der Verletzlichkeit“ darlegt: Es ist wichtig, beides voneinander zu unterscheiden, denn das eine verbindet, das andere trennt. Mitleid blickt von oben nach unten und schafft eine Distanz zwischen Ihnen und der Person, mit der Sie Anteil nehmen: „Oh je, das klingt ja schrecklich – du Ärmster!“ Empathie dagegen fragt, wie sich der andere fühlt, ohne zu urteilen. Empathie dreht sich nicht um Problemlösungen oder unerwünschte Ratschläge. Und es geht auch nicht ums Versüßen, die Probleme eines anderen Menschen durch positive Gleichgültigkeit unter den Teppich zu kehren: „Zumindest hast du Arbeit!“ oder „Das wird schon wieder.“ Mitleid sitzt eine Stufe über der anderen Person, Empathie steigt hinunter und setzt sich neben den Betroffenen.
Dies kann für Führungskräfte schwierig sein, denn in traditionellen hierarchischen Strukturen stehen sie ja auf einer „höheren“ Stufe. Als wirklich empathische Führungskraft muss man manchmal einen Augenblick lang nicht als Vorgesetzte*r oder Geschäftsführer*in auftreten. Um sich wirklich in jemanden anderen hineinversetzen zu können, sozusagen eine „Meile in den Schuhen eines anderen zu gehen“ (oder in den „Mokassins“, wie es in dem Originalzitat der amerikanischen Ureinwohner von 1895 heißt), muss man seine eigenen ausgelatschten Schuhe abstreifen, diese „Ich-habe-hier-das-Sagen“-Modelle, sich auf authentischer Ebene auf die Teammitglieder einstellen und die Welt wirklich durch ihre Augen sehen.
Als Soft Skill oder wünschenswertes Extra – wie viele soziale Kompetenzen, die emotionale Intelligenz (EQ) erfordern – gilt Empathie in manchen Organisationen noch immer nicht als wichtige Eigenschaft. Wenn die Arbeit drängt, ist es doch nicht an der Zeit, um über etwas so wenig quantifizierbares wie Empathie nachzudenken, oder? Tatsächlich wäre es völlig falsch, nicht darüber nachzudenken. Je dringender die geschäftlichen Anforderungen, desto wichtiger ist es, sich mit Ihrem Team kurzzuschließen. Auch das Wort „soft“ ist irreführend. Wie die neuseeländische Regierungschefin Jacinda Ardern während der Pandemie sagte (und demonstrierte): „Führungspersönlichkeiten können sowohl empathisch als auch stark sein.“ Denn Empathie ist Stärke. Verletzlichkeit erfordert Mut. Ruhig und mitfühlend zu bleiben, während die Welt um uns herum zusammenbricht, verlangt unglaubliche Entschlossenheit. Und es funktioniert. Das Center for Creative Leadership untersuchte 6731 Führungskräfte in 38 Ländern und ermittelte einen direkten Zusammenhang zwischen beruflicher Leistung und Empathie – Führungskräfte, deren Mitarbeitende sie als sehr mitfühlend einstuften, wurden auch von ihren Vorgesetzten als besonders leistungsstark bewertet.
In der Praxis verwenden erfolgreiche Führungskräfte die sogenannte kognitive (oder konstruktive) Empathie, um psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz zu kultivieren: den Aufbau eines Umfelds, in dem Teammitglieder sich „sicher“ genug fühlen, um ohne Angst ihre Meinung zu äußern, Verfahrensweisen zu hinterfragen oder sogar zu kritisieren. Dies ist umso wichtiger, wenn wir die Bedeutung gedanklicher Vielfalt berücksichtigen: Menschen in die Lage zu versetzen, ihr wahres Ich – und ihre Ideen – am Arbeitsplatz einzubringen. Wie Anna Hart, People Director bei Insights, in ihrem Blog erläutert, lösen vielfältige Teams Probleme schneller als Teams mit kognitiv ähnlichen Mitgliedern: Integrative Teams treffen bis zu 87 % häufiger bessere Entscheidungen. Damit diese Vielfalt funktioniert, müssen Führungskräfte jedoch die Kraft der Empathie nutzen, um ein integratives Umfeld zu schaffen, das verschiedenen Perspektiven und Stimmen wirklich offen gegenübersteht.
Destruktive oder „emotionale“ Empathie ist dagegen nicht immer hilfreich, wie hier dargelegt. Obwohl sie in persönlichen Beziehungen wirkungsvoll ist, können sich Führungskräfte, die am Arbeitsplatz zu direkt auf die Emotionen eines Teammitglieds eingehen, überwältigt fühlen. Die Folgen sind „Empathie-Stress“ und gelegentlich sogar Burnout. Empathie ist nicht frei von Vorurteilen: Neurowissenschaftler betonen, dass viele von uns unbewusst vor allem Mitgefühl mit Menschen haben, die uns besonders ähnlich sind, ohne dies überhaupt zu merken. Für den Erfolg der Empathie am Arbeitsplatz ist also die richtige Perspektive entscheidend. Wir müssen versuchen, die Sichtweise anderer zu verstehen, ohne uns zu stark einbinden oder überwältigen zu lassen.
„Empathie bedeutet, an den Menschen zu denken, anstatt nur an seine Leistung.“
– Simon Sinek
Wie kann man also als Führungskräfte Empathie konstruktiv einsetzen? Zur Entwicklung kognitiver Empathie gibt es kein Erfolgsrezept; sie ist keine Sprache, die man lernen kann wie Geschäftsjargon. Empathie will geübt sein, wie ein Muskel, der aufgebaut und gedehnt wird – und gelegentlich auch versagt –, um zu wachsen und sich weiterzuentwickeln. Wie Simon Sinek in seinem Vortrag „Empathie“ betont: Es gibt viele Manager*innen, aber wenige wahre Führungspersönlichkeiten, weil Beförderungen oft auf einer bestimmten Kompetenz oder Qualifikation basieren, nicht aber auf dem Talent zur Menschenführung. Trotz jahrelanger Ausbildung in ihren Fachgebieten erhalten Führungskräfte in diesem Bereich oft überhaupt kein Training, obwohl Mitarbeiterführung die wichtigste Kompetenz für ihre Aufgabe ist. Schnelle Erfolge sind hier zwar nicht zu erzielen, aber diese Tipps helfen Ihnen, als Führungskraft mehr Empathie zu zeigen:
Wenn die Antwort „nein“ lautet und Sie diese Dinge nicht geschafft haben, haben Sie Empathie mit sich selbst. Behandeln Sie sich selbst mit demselben Mitgefühl wie Ihre Teammitglieder. Das Beste am Prozess der Selbsterkenntnis ist, dass man ständig weiterlernen und überlegen kann, was gut gelaufen ist und was man verbessern möchte. Morgen ist ein neuer Tag, um es noch einmal zu versuchen. Es ist nie zu spät, weiter zu lernen und unsere Empathie zu trainieren, bis wir unterschiedliche Sichtweisen berücksichtigen und problemlos mit den Gefühlen verschiedener Teammitglieder umgehen können.
Mitarbeiterführung ist nicht einfach. Wie Sinek sagt: Sie erfordert ein großes persönliches Opfer. In der traditionellen Vorstellung von „starker“ Führung fordert eine autoritäre Figur von gestressten Mitarbeitenden, die sich den Schweiß von der Stirn wischen, mit erhobenem Zeigefinger empathielos mehr Leistung. Letztendlich ist dies aber alles andere als stark. Sich seiner Gefühle bewusst zu sein, Verletzlichkeit zu zeigen, sich Zeit zum Zuhören zu nehmen, andere Meinungen zu begrüßen, jedem Teammitglied gegenüber wirklich mitfühlend zu sein – das erfordert Zeit, Geduld, Mut und Durchhaltevermögen. Es sind nicht die viele Projekte und Geschäftserfolge, die Sie im Laufe Ihrer Karriere einfahren, sondern die Menschen, auf die Sie einwirken und von denen Sie lernen können, die wirklich zählen.
Insights begleitet Führungskräfte und Mitarbeitende seit fast 30 Jahren mit gezielten Entwicklungsprogrammen. Im Mittelpunkt stehen dabei die Selbsterkenntnis, emotionale Intelligenz und das Aufbauen von Beziehungen. Unsere Programme helfen Führungskräften, sich selbst zu führen und so auch ihre Wirkung auf andere besser zu steuern. Unsere jüngstes Lernangebot, „Selbsterkenntnis für Führungskräfte“, unterstützt die Entwicklung der notwendigen Kompetenzen und Einstellungen für empathische Mitarbeiterführung und ist ideal für das gemeinsame Lernen. Auf unserer Website finden Sie nähere Informationen zu unserem Programm für Führungskräfte.